Europäer und Ukraine stellen Putin Waffenruhe-Ultimatum

Merz, Macron, Starmer und Tusk in Kiew
© Kay Nietfeld/dpa

Ukraine-Krieg

Kiew (dpa) - Die vier wichtigsten europäischen Verbündeten der Ukraine haben mit Unterstützung der USA erstmals eine größere diplomatische Initiative gestartet, um den russischen Angriffskrieg zu beenden. Bundeskanzler Friedrich Merz, der französische Präsident Emmanuel Macron, der britische Premierminister Keir Starmer und der polnische Regierungschef Donald Tusk reisten nach Kiew, um Russland von dort aus ultimativ zu einem bedingungslosen Waffenstillstand aufzufordern.

Er soll am Montag beginnen, mindestens 30 Tage dauern und ernsthafte Friedensverhandlungen zum Ziel haben. Sollte Russland sich weigern, wollen die Europäer das Land mit Finanz- und Energiesanktionen belegen und die Waffenlieferungen an die Ukraine ausweiten. 

Moskau wies den Vorstoß in einer ersten Reaktion schroff zurück. Sie könnten sich ihre Friedenspläne «in den Hintern» schieben, schrieb der Vizechef des russischen nationalen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, auf Englisch auf der Plattform X.

Merz: größte diplomatische Initiative seit langem

«Es muss klar sein: Wenn Russland sich diesem Waffenstillstand verweigert, ein Waffenstillstand, der die Grundlage für sofort beginnende Verhandlungen sein kann, dann werden wir die Ukraine weiter verteidigen, und wir werden den Druck auf Russland weiter erhöhen», sagte Merz (CDU). Im ZDF ergänzte er: «Dies ist die größte diplomatische Initiative, die es in den letzten Monaten, wenn nicht Jahren gegeben hat, um den Krieg in der Ukraine zu beenden.» 

Gemeinsam mit Macron und Starmer war Merz per Zug zum Gipfeltreffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in dessen Hauptstadt gereist. Nach einer Videoschalte mit der «Koalition der Willigen» - einem Bündnis zur Unterstützung der Ukraine, dem die USA nicht angehören - telefonierten die Spitzenpolitiker mit US-Präsident Donald Trump. 

«Wir wissen, dass uns die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen», sagte Selenskyj. Sein Kanzleichef Andrij Jermak verbreitete ein Foto der Gruppe und schrieb von «historischen Momenten». Auch Merz verwies auf die Geschlossenheit der Verbündeten. Trump hatte zuletzt bereits seine Forderung nach einer Waffenruhe bekräftigt und andernfalls mit neuen Sanktionen gegen Russland gedroht. Erstmals seit seinem Amtsantritt scheinen die USA und Europa bei den Bemühungen um ein Ende des Krieges gemeinsam und abgestimmt zu handeln. 

Merz sieht «eine kleine Chance»

Putin müsse wissen, dass er den Westen nicht auseinanderdividieren könne, sagte Merz, der mit Trump am vergangenen Donnerstag telefoniert hatte. Aus den USA, die Friedensgespräche mit Russland in den vergangenen Wochen an Europa und teilweise auch der Ukraine vorbei geführt hatten, kam zunächst keine Reaktion auf das Gipfeltreffen in Kiew.

Details zu möglichen neuen Sanktionen blieben am Samstag offen. Selenskyj sagte, die verschärften Maßnahmen sollten den Energiesektor und das Bankensystem betreffen. Bislang hat Moskau für eine längere Waffenruhe immer Bedingungen gestellt - insbesondere den Stopp der westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine.

«Dieser Krieg muss aufhören. Und ich glaube, es gibt jetzt eine kleine Chance. Aber es gibt diese Chance», sagte Merz in der ARD. Putin müsse verstehen, dass er den Ukraine-Krieg mit militärischen Mitteln nicht gewinnen könne, sagte der Kanzler auch dem Sender ntv. «Diesem Punkt nähern wir uns möglicherweise.»

Merz zeigte sich offen für ein Telefongespräch mit Putin. «Das ist eine Option, selbstverständlich.» Er würde dies aber nur in Abstimmung mit den europäischen Partnern und den USA tun. «Dann werden alle davon wissen - vorher und nachher.»

«Freie Welt wirklich geeint»

Merz' polnischer Amtskollege Tusk sagte: «Zum ersten Mal seit langer Zeit haben wir das Gefühl, dass die gesamte freie Welt wirklich geeint ist». Die Idee einer Waffenruhe ab Montag und der sofortigen Aufnahme von Friedensgesprächen werde gemeinsam von Trump, der Ukraine und der gesamten Koalition der Länder getragen, die das Land in seinem Kampf um territoriale Integrität, Unabhängigkeit und Freiheit unterstützten, sagte er. 

Frankreichs Präsident Macron stellte zudem robuste Sicherheitsgarantien für die Ukraine in Aussicht. «Über all das konnten wir soeben mit allen Staats- und Regierungschefs sprechen, die sich uns bei der "Koalition der Willigen" angeschlossen haben.» Großbritanniens Premier Starmer betonte, es sei jetzt an Putin, zu zeigen, dass er es erst meine mit den Friedensbemühungen.

Russland nennt Bedingungen für Waffenruhe

Vor dem Ultimatum aus Kiew hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow betont, dass ein Ende der westlichen Waffenlieferungen eine Bedingung für eine Waffenruhe sei. «Andernfalls wird es einen Vorteil für die Ukraine geben», sagte Peskow im Interview des US-Senders ABC. Die Ukraine würde eine Waffenruhe dazu nutzen, um ihre «totale Mobilmachung» fortzusetzen und neue Truppen an die Front zu bringen, um neues Personal auszubilden und den derzeitigen Kämpfern eine Atempause zu verschaffen, sagte Peskow.

«Warum sollten wir der Ukraine solch einen Vorteil verschaffen?», fragte Peskow die US-Journalistin. Russland selbst komme gerade bei seiner Offensive in der Ukraine voran und habe die Initiative, betonte er. 

Beide Kriegsparteien bezichtigen sich immer wieder gegenseitig, kein echtes Interesse an einem Ende der Kampfhandlungen zu haben. Aktuell gilt noch bis Mitternacht (23.00 Uhr MESZ) eine einseitig von Russland verhängte, dreitägige Waffenruhe anlässlich der Feiern zum Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig Verstöße gegen die Feuerpause vor.

Sanktionen gegen Russland immer weiter verschärft

Russland werde sich nicht von Sanktionsdrohungen einschüchtern lassen und habe sich ohnehin an die Strafmaßnahmen gewöhnt, sagte Peskow dem Staatsfernsehen in Moskau. «Wir stellen uns sogar schon vor, was wir nach der Verhängung dieser Sanktionen tun, wie wir ihre Folgen minimieren werden», sagte Peskow. «Uns mit Sanktionen Angst zu machen, läuft ins Leere.»

Die EU und die USA haben Russland bereits mit zahlreichen Sanktionen belegt, um dem Land wirtschaftlich die Grundlage für die Fortsetzung des Angriffskriegs gegen die Ukraine zu nehmen. Auch westliche Experten bescheinigen der russischen Wirtschaft aber eine so nicht erwartete Robustheit. Zwar sind die vielen wirtschaftlichen Probleme unübersehbar, weil es etwa am einfachen Zugang zu westlicher Technik fehlt. Die Rohstoffgroßmacht nimmt aber weiter Milliarden etwa aus dem Öl- und Gasverkauf ein. Das Geld hält wiederum die Kriegswirtschaft am Laufen.

Die Ukraine wehrt sich seit mehr als drei Jahren mit westlicher Unterstützung gegen eine russische Invasion.

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Merz, Macron, Starmer und Tusk in Kiew
Ein Telefonat mit Wladimir Putin ist für Friedrich Merz «eine Option».© Kay Nietfeld/dpa
Ein Telefonat mit Wladimir Putin ist für Friedrich Merz «eine Option».
© Kay Nietfeld/dpa
Merz, Macron, Starmer und Tusk in Kiew
Die Ukraine wehrt sich seit mehr als drei Jahren mit westlicher Unterstützung gegen die russische Invasion. © Kay Nietfeld/dpa
Die Ukraine wehrt sich seit mehr als drei Jahren mit westlicher Unterstützung gegen die russische Invasion.
© Kay Nietfeld/dpa
Merz, Macron, Starmer und Tusk in Kiew
Die Staats- und Regierungschefs demonstrierten in Kiew Geschlossenheit.© Kay Nietfeld/dpa
Die Staats- und Regierungschefs demonstrierten in Kiew Geschlossenheit.
© Kay Nietfeld/dpa

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