Das Drama mit den Brücken in Nordrhein-Westfalen
Veröffentlicht: Mittwoch, 28.05.2025 08:09
Wer in Nordrhein-Westfalen von A nach B will, ist auf Brücken angewiesen. Doch die Zahl maroder Brücken ist enorm und gefährdet Wohlstand und Wachstum in NRW.

Es sind vor allem die Unternehmer, die in den vergangenen Jahren immer lauter Alarm schlagen. Von den 100 marodesten Autobahnbrücken Deutschlands mit mindestens 50 Metern Länge stünden allein 20 in NRW - so viele wie in keinem anderen Bundesland. Zu diesem Ergebnis kam im Herbst 2024 die Bundesgütegemeinschaft für die Instandsetzung von Betonbauwerken - kurz BGIB. Grundlage für diese Bewertung ist die Brückenstatistik der Bundesanstalt für Straßenwesen - kurz BaSt. Die vergibt für jede Einzelne Autobahnbrücke in Deutschland Noten. Dabei werden Schäden und Abnutzungserscheinungen, die Leistungsfähigkeit, das Alter und das verwendete Material berücksichtigt.
Marodeste Autobahnbrücke Deutschlands steht in NRW
Laut dieser Analyse steht auch die baufälligste Brücke ganz Deutschlands bei uns in NRW. Sie ist Teil des Autobahnkreuzes Meckenheim und steht an der Grenze zu Rheinland-Pfalz. Jüngste Zählungen ergaben, dass sie täglich von mehr als 70.000 Autos befahren wird.
Dass der Zustand der Autobahnbrücken in NRW besorgniserregend ist, zeigt auch immer wieder der "Brückenmonitor" der Industrie- und Handelskammer NRW. Zusammen mit der RWTH Aachen wird regelmäßig auf den Zustand der Brücken aufmerksam gemacht. Das Kernergebnis: Gut 30 Prozent der Autobahnbrücken in NRW fallen in die beiden schlechtesten Kategorien. In konkreten Zahlen bedeutet das 1.850 Autobahnbrücken sind Sorgenkinder. Hinzu kommen etwa 600 Brücken, für die das Land zuständig ist. Insgesamt müssten in NRW laut Brückenmonitor deutlich mehr Brücken saniert werden, als in Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zusammen genommen.

Brücken sind Erfolgsfaktor für die Wirtschaft
Ein Zustand, wie rund um die Sperrung der Rahmede-Talbrücke - "das können wir uns auf Dauer nicht leisten", sagt IHK-Präsident Ralf Stoffels. Die Modernisierung der Brücken sei von höchster Bedeutung für die Wirtschaft. Die Zahl der Unternehmen, die über Probleme durch die schlechte Verkehrs-Infrastruktur klage, sei inzwischen auf 79 Prozent gewachsen, heißt es im Brückenmonitor.
Staus werden immer länger
Die meisten Brücken bei uns im Land wurden in den 1960er und 1970er Jahren gebaut. Ihre Lebensdauer war auf etwa 70 Jahre ausgelegt. Zudem waren sie damals nicht auf die heutige Belastung ausgelegt. Lange Zeit wurde die Sanierung und Instandhaltung vernachlässigt - das ist die einhellige Meinung der Experten. Dieser Stau bei den Sanierungen macht sich auch in einer anderen Statistik bemerkbar: Der Stau-Statistik. NRW ist seit Jahren Spitzenreiter bei den Autobahnstaus. 271.000 Staukilometer gab es in 2024 - rund sechs Prozent mehr als im Jahr zuvor. Auf diese Zahl kommt der ADAC in seiner jährlichen Staubilanz.
Es droht ein Domino-Effekt
Über Jahrzehnte sei zu wenig in die Verkehrs-Infrastruktur investiert worden, sagt der Leiter des Fachbereichs Verkehr und Umwelt beim ADAC Nordrhein, Roman Suthold. "Das fällt uns jetzt auf die Füße. Der Sanierungsbedarf auf den Fernstraßen ist gewaltig", sagt er. Durch Baustellen und Einschränkungen bei der Befahrbarkeit würden die Belastungen weiter steigen. Allerdings: “Wir brauchen diese Maßnahmen, sie sind alternativlos.” Auf NRW-Autobahnen werde so viel gebaut, wie nirgendwo sonst. “Bauzeit bleibt Stauzeit”, sagt Suthold, “Pendler fahren oft von einer Baustelle in die nächste.” Wenn es nicht gelinge, die Brücken rechtzeitig zu modernisieren, drohten weitere Ausfälle, Stauchaos und noch mehr schaden für den Wirtschaftsstandort. Zudem kommt: Durch den Neubau von Autobahnbrücken muss auch der Schwerlastverkehr auf umliegende Bundes- und Landstraßen ausweichen. Die Ausweichstrecken werden dadurch noch stärker belastet, was deren Lebensdauer weiter senkt. Der ADAC spricht von einem Domino-Effekt.

NRW-Regierung will Brückenprobleme angehen
NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) kennt das Problem nur zu gut. Er sieht vor allem zwei Ursachen für das Drama mit den Brücken: “Wir haben eine Zunahme des Verkehrs - insbesondere des Güterverkehrs. Und der zweite Punkt ist, dass in Jahrzehnten der Vergangenheit in Teilen zu wenig investiert worden ist”, sagt er am 2. November 2023. An diesem Tag kündigt Krischer das an, was er eine Sanierungsoffensive nennt. Innerhalb von 10 Jahren will der 400 Brücken im Land durch Ersatzneubauten sanieren. Allein im Jahr 2024 wurden zusätzlich 220 Millionen Euro dafür bereitgestellt. In der Tat läuft die Sanierungsoffensive unter Hochdruck. Im Jahr 2025 wurden bisher schon schon 15 Brücken neu gebaut, 41 werden gerade gebaut und 37 Brücken will man in diesem Jahr noch angehen
Expressbauweise sorgt für Tempo
Die Landesregierung setzt dabei auf eine besondere Bauweise und auf eine geschicktere Ausschreibung der Ersatzneubauten. Beispiel: Die Brücke an der L 39 in Mönchengladbach-Wickrath steht nach nur zehn Wochen Bauzeit kurz vor der Fertigstellung. Die 26 Meter lange Brücke wurde mit Hilfe einer Schnellbauweise erneuert. Das Prinzip ist einfach: Betonfertigteile werden so oft es geht schon vorgefertigt angeliefert. Das spart auf der Baustelle wertvolle Zeit und Personal. Ein anderer Trick: Funktionale Ausschreibungen. Dabei gibt das Land als Auftraggeber nicht mehr exakt die technischen Details eines Brückenbaus an, sondern beschreibt in wenigen Punkten, was die Brücke am Ende können muss. So gut die Sanierungsoffensive läuft - so groß ist der Haken: Sie umfasst nur Brücken für die das Land zuständig ist. Autobahnbrücken sind davon ausgeschlossen. Dafür ist der Bund über die “Autobahn GmbH” zuständig.
Autobahn GmbH muss "Triage" vornehmen
"Transport & Environment", eine europaweite Organisation nicht-staatlicher Organisationen, die sich für Nachhaltigkeit im Verkehr einsetzt (kurz T&E), kritisiert die Bundespolitik schon länger. Benedikt Heyl von T&E Deutschland sagt: "Wir wissen eigentlich genau, welche Brücke schnell saniert werden muss. Doch das Bundesverkehrsministerium hinkt den Notwendigkeiten so weit hinterher, dass die Autobahn GmbH inzwischen eine Triage durchführt." Das sei absurd teuer, denn jede verschleppte Sanierung koste in Zukunft noch viel mehr. Eine Ursache für die Verschleppung ist neben Geld auch der Mangel an Fachkräften. Der Autobahn GmbH bleibe nichts anderes übrig, als den Mangel irgendwie zu verwalten, hört man oft von Verkehrspolitikern. Eine Forderung ist auch von anderen Stellen immer wieder zu hören: Es braucht nicht nur mehr Geld, sondern eine andere Priorisierung. Die Haushaltspolitikerin der Grünen im Bundestag, Paula Piechota fordert, dass die neue schwarz-rote Bundesregierung auf Sanierung, statt auf neue Bauprojekte setzt. Erhalt sei das Gebot der Stunde.
Hoffnungen liegen auf Infrastrukturfonds
Auch NRW-Verkehrsminister Krischer fordert, dass der Fokus auf den Erhalt und weniger auf den Neubau gesetzt wird. Zusammen mit anderen Verkehrsministern der Länder setzt er sich dafür ein, dass ein großer Teil des 500 Milliarden-Euro großen Schuldenpakets der Bundesregierung für die Infrastruktur in die bestehenden Brücken und Straßen gesteckt wird. "Das Sondervermögen als Grundstock muss für die überfälligen Erhaltungsinvestitionen verwendet werden". sagt er. Er betont aber auch, dass das nicht reichen werde: "Dauerhaft brauchen wir einen Verkehrsinfrastrukturfonds", sagt er.
Autor: José Narciandi (mit dpa)